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Montag, 20. Februar 2012

Lieben, weil sie Kreatur ist die auch zittern kann! Friedrich Weinreb

Ein kleiner Nachtrag zum Valentinstag- Friedrich Weinreb über "das größte Gebot" im zwölften Kapitel des Markusevangeliums:

"Liebe kommt von inner her. Öfter hört man sagen: Wie kann man in so einen Menschen verliebt sein? Man kann das nicht verstehen, weil Liebe eben nicht auf das Aussehen hin kommt, sondern ganz woanders her. Das Aussehen ändert sich doch, das ist ein Gesetz, der Mensch altert; aber nach Gesetz zu lieben, ist keine Liebe.
Das große Gebot vor allem ist, dass du spürst, du kannst gar nicht leben, wenn bei dir und bei anderen nicht Liebe als Kern des Ganzen anwesend ist. Deshalb heisst es das große Gebot: Liebe den Herrn deinen Gott von ganzem Herzen, usw.; Liebe deinen Nächsten, als ob du es selber bist, dass heisst, er ist ein Mensch mit den gleichen Gefühlen und Launen und Misstönen und schönen Tönen wie du. Beurteil ihn nicht - du kannst ihn doch lieben, gleichgültig, wie er sich äußert. Mache dir von ihm kein Bild der Momente, wie er sich äußert, du könntest zu ihm eine Beziehung haben, die vom Bild im Moment absieht, dafür etwas spürt: die Augen, die Atmosphäre, die Ausstrahlung. Es könnte dann sein, dass du die ganze Kreatur nicht durch Urteil liebst, sondern liebst, weil sie Kreatur ist, die auch zittern kann. Eine Katze kann zittern, wenn man ihr Angst macht, ein Hund kann zittern, böse sein, verstimmt sein. Kreatur - sie lebt wie du, mit den gleichen Ängsten der Zeitlichkeit und der Sehnsucht nach Ewigkeit.

Liebe bedeutet dann auch Liebe zum Sein, zum Ewigen. Wenn du eine Bibelstelle liest, ohne sie auf das Ewige zu beziehen, kannst du sie nie richtig verstehen. Dann beurteilst du sie danach, ob sie dir gefällt oder nicht. Du siehst dann, wie bei einem Menschen, dass die Augen nicht so schön sind, die Haut vielleicht Pickelchen hat, etwas schief gewachsten ist, usw. Aber wie du den anderen liebsten sollst wie dich selber, so auch die Bibelstelle; dass heisst, erwarte dann, dass sie sich öffnet, dass sie sich in ihrer Herrlichkeit zeigt, in ihrer Ewigkeit. Sonst erscheint sie nur, wie du sie beurteilst; damals war es so und wurde so gesagt. Wie du einen Menschen nicht nach dem Äußeren beurteilen sollst, so auch nicht eine Bibelstelle. Frage dich dann, wieso der Mensch einen Buckel hat. Wie das sein kann, dass er in deinen Augen hässlich ist? Dann hast du ihn nie gekannt, hast ihn dir nie im stillen als dir gleicher Mensch vorgestellt. Bedenke, der Mensch, der dir da gegenübersteht - vielleicht weint er, vielleicht ist er traurig, vielleicht wird er verfolgt -, ist ein Mensch wie du, eine Kreatur wie du, denn alles kommt aus der Quelle von Gott, Momente, wo wir verstimm sind, Momente, wo wir sehr glücklich sind, alles klar sehen, Momente, wo wir dumpf sind, stumm - alle Momente."

(aus: Friedirch Weinreb, das Markus-Evangelium, Der Erlöser als Gestalt des religiösen Weges, Band 2, S.573f.,Thauros Verlag 1999)
Friedrich Weinreb

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